Am Medizintourismus partizipieren
Medizintourismus ist international ein boomender Markt. Die Gründe, die Patienten dazu veranlassen, medizinische Leistungen im Ausland in Anspruch zu nehmen, sind vielfältig. Doch in welchen Segmenten können Praxen in Deutschland davon profitieren und wie sollte am besten vorgegangen werden?
Man spricht von Medizintourismus, wenn sich jemand für begrenzte Zeit zugunsten einer medizinischen Behandlung an einen anderen Ort begibt. Für Patienten, die nach Deutschland kommen, stehen heute primär Qualität und Reputation von Behandlung bzw. Ärzten und Kliniken im Vordergrund – aber Deutschland ist nicht das einzige Land im Wettkampf um das lukrative Geschäft mit wohlhabenden, reise- willigen Patienten. Praxen und Kliniken in aller Welt haben medizinischen Tourismus als Gewinnchance verstehen gelernt und viele privatwirtschaftliche Unternehmen haben in diesen Bereich investiert.
Wer reist für seine Gesundheit?
Auf globaler Ebene sind die Gründe für Medizintourismus vielfältig. So können günstigere Kosten für spezifische Behandlungen oder juristische Voraussetzungen für die Durchführung von Behandlungen die Grenzüberschreitung befürworten. Es wird üblicherweise zwischen drei Typen von Medizintouristen unterschieden: Beim ersten Typus (preisunbewusstes Reisen für die Behandlung) wird eine Zielgruppe angesprochen, welche bereit ist, sich ins Ausland zu begeben, z.B. wegen der dortigen medizinischen Infrastruktur. Bei dieser Zielgruppe ist die Preissensitivität eher gering. Höchste Qualitätsansprüche werden auf eigene Kosten geltend gemacht. Oftmals spielen der Zugang zu bestimmten medizinischen Apparaturen bzw. das schiere Behandlungsangebot, natürlich mit den adäquaten Service-Leistungen, die Schlüsselrolle. Neben der eigentlichen Therapie haben aber auch Aspekte wie Datenschutz und ärztliche Schweigeplicht, welche oftmals im Heimatland nicht gelebt werden, eine große Bedeutung. Ein weiterer hochrelevanter Grund für die Aufnahme medizintouristischer Reisen sind auch die juristischen Besonderheiten vor Ort, etwa eine späte Abtreibung in den Niederlanden oder die begleitende Sterbehilfe in der Schweiz. Deutschland ist allerdings nicht für besondere juristische Regelungen bekannt.
Bei der zweiten Gruppe (preisbewusstes Reisen für geringere Kosten) ist die preisliche Flexibilität eher gering. Die Reise wird vor allem wegen einer Einsparung bei nicht von der Versicherung übernommenen Leistungen in Kauf genommen. Diese Zielgruppe reist nur selten nach Deutschland, um sich behandeln zu lassen. Oftmals sind es hier die Deutschen, welche sich ins Ausland begeben. In der Zahnmedizin ist etwa das Angebot an Behandlungsmöglichkeiten im ungarischen Grenzgebiet sehr weitläufig – es werden vor allem Reisewillige aus
Deutschland und Österreich angesprochen. Es be- steht aber auch in Deutschland die Möglichkeit, Partnerschaften einzugehen und mit ausländischen Praxen zu kooperieren bzw. direkt ausländische Patienten anzusprechen.
Die letzte Gruppe (preisneutrales Reisen auf Kosten der Versicherung) begibt sich vor allem aufgrund von Wartezeiten auf die Reise. So kann es beispiels- weise je nach lokaler Nachfrage zu sehr langen Wartezeiten bei bestimmten Fachgruppen oder bei bestimmten Therapien kommen. Diese Wartezeit kann ggf. durch Grenzüberschreitung minimiert werden. In der Europäischen Union ist die Kostenübernahme durch die eigenen Krankenkassen in der EU-Patientenmobilitätsrichtlinie 2011/24/EU geregelt. Im Grenzgebiet Deutschland-Niederlande, in NRW, gibt es z. B. ein ausgeprägtes Angebot, welche sich aufgrund der Nähe und den erheblich kürzeren Wartezeiten an niederländische Patienten richtet. Diese dritte Gruppe hat auf dem internationalen Parkett eine eher geringe Bedeutung, besonders weil das Heimatland seiner Versorgungsverpflichtung nachkommen soll. Oftmals führen sehr lange Wartezeiten auch dazu, dass Kassenpatienten sich im Heimatland auch privat behandeln lassen.
Internationale Entwicklung
Die relevanteste Gruppe von Medizintouristen im internationalen Vergleich ist wohl diejenige, welche aufgrund von Preisdifferenzen verreist. So können abhängig vom Behandlungs- und Heimatland Preise teilweise um mehr als 90 % günstiger sein – allerdings sind Qualitätsstandards bzw. die Qualitätsbedürfnisse teilweise veschieden. Aufgrund dieser Qualitätsschwankungen haben sich auch Zertifizierungsorganisationen etabliert. Gerade aus der Perspektive verschiedener Qualitätsansprüche bzw. auch vielseitiger Qualitätsschwerpunkte kann eine Zertifizierung durchaus sinnvoll sein. Aber auch hier gilt es die zur jeweiligen Zielgruppe passende Zertifizierung mit dem adäquaten Marktzugang zu wählen. Je nach Zertifizierer geht es hier weniger um die Optimierung des großteils ohnehin hohen Standards in deutschen Praxen, sondern vor allem um den respektiven Marktzugang. Auf globalem Niveau ist die Entwicklung von Medizintourismus teilweise schwierig zu messen, da Statistiken oftmals nicht sauber erfasst werden. Kurzfristige Notfallbehandlungen im Ausland werden gerne zugunsten der Statistik auch in medizintouristischen Zählungen erfasst. Nichtsdestotrotz ist deutlich ein global starker Wachstumstrend zu verzeichnen.
Das gilt es jetzt zu tun
Häufig ist festzustellen: Deutsche Ärzte passen sich nicht an die Gewohnheiten ihrer Patienten an. Es fehlt an interkultureller Kompetenz, oder schlicht an der Sprache. Die Infrastruktur der Praxis ist oftmals auf den deutschen, ambulanten Patienten ausgerichtet. Internationale weniger preissensitive Patienten suchen aber intensive persönliche Betreuung vom behandelnden Arzt.
Um sich dem global wachsenden Markt „Medizin- tourismus“ zu öffnen, gilt es wie folgt vorzugehen:
1. Therapieangebot zielgruppenspezifisch analysieren.
2. Zu Patienten passende Therapien auswählen.
3. Hauptherkunft der Patienten mit diesem Behand- lungsbedarf ermitteln.
4. Kulturellen Bedarf der Patienten verstehen.
5. Komplettpaket für Patienten ausarbeiten (Reiseveranstalterhaftung berücksichtigen/passend Patientenvermittler akquirieren).
6. Kulturelle Schulung für das gesamte Praxisteam organisieren.
7. Patienten erfolgreich in der Praxis empfangen. Im Idealfall sollte das passende Konzept zu Anfang ausgearbeitet werden, um dann auch direkt die zum Gesamtkonzept passenden Kanäle zu bespielen.