Burnout-Prävention: Höher, weiter, schneller war gestern
Die über viele Jahre vorherrschende Philosophie des immer höher, weiter, schneller hat dazu geführt, dass in unserer Gesellschaft ein dramatischer Anstieg der psychozialen Erkrankungen stattgefunden hat. Der Begriff des Burnouts wurde im Jahr 2000 in den großen meinungsbildenden Printmedien als Randnotiz veröffentlicht. Fünf Jahre später erschienen zunehmend entsprechende Artikel, um im Jahr 2010 einen neuen Höhepunkt zu erreichen. Heute begleitet uns dieses Thema täglich. Der Engpass in unserer heutigen Zeit ist der Faktor Mensch, der dem Tempo und den Anforderungen häufig nicht mehr gewachsen ist. Lustlosigkeit, Fehlzeiten bis hin zu langfristigen Ausfällen sind die Folge. Was auf den einzelnen Menschen zutrifft, kann in der Wirkung auch auf Organisationen und Gemeinschaften übertragen werden.
Der Begriff der Resilienz lässt sich mit dem Wort „Widerstandskraft“ am ehesten beschreiben.
Als Metapher dient ein Schwamm, der, nachdem er zusammengedrückt wurde, nach Nachlassen des Drucks unbeeindruckt wieder in seine Ursprungsform zurückkehrt. Die resiliente Praxis zeichnet sich daher durch die Fähigkeit aus, vorhersehbaren und unvorhersehbaren Herausforderungen konstruktiv zu begegnen.
Die Leitfrage der resilienten Praxis
„Wie ist es möglich, auch unter widrigen Umständen Praxen zu finden, welche überdurchschnittliche Erfolge erzielen?“ Es geht bei der Beantwortung dieser Frage um zwei Kernelemente:
1.Die Veränderung der Denkweise und
2.Die Veränderung der Handlungsweise.
Das Infragestellen von Gewohnheiten und Bewährtem ist das Kernelement der Erneuerungsfähigkeit. Die amerikanischen Wissenschaftler Karen Reivich und Andrew Shatté sprechen von sieben „Säulen“ um Krankheiten, Verluste, Überbelastungen und Probleme im Privat- oder Berufsleben zu meistern.
Diese sind Optimismus, Akzeptanz, Lösungsorientierung, Verlassen der Opferrolle, Übernahme von Verantwortung, Netzwerkorientierung und Zukunftsplanung.
Aus diesen sieben Säulen leiten sich nun Maßnahmen ab, die dazu führen, dass man Resilienz erlernt
und zunehmend unabhängig wird von den inneren und äußeren Einflussfaktoren. Dies erfordert Nachhaltigkeit, Disziplin und Konsequenz.
Faktoren für den Praxiserfolg
Der Erfolg einer Praxis entscheidet sich grundsätzlich durch die innere Einstellung, nicht durch den Markt. Mit dieser Erkenntnis ist ein wich- tiger Schritt getan, um zu lernen anderes zu denken und sich anders zu organisieren. Hier die wichtigsten Faktoren für die Praxisentwicklung:
1. Denkmuster und Verhaltens- weisen des Managements
Hier geht es um die Entwicklung der persönlichen Resilienz der Führungskraft, die u.a. ausgelöst wird durch eine ausgeprägte Selbstwahrnehmung. In erster Linie geht es um die Überprüfung der eigenen Verhaltensmuster, um zu erkennen, inwieweit das eigene Leben selbst- oder fremdbestimmt wird. Die sich daraus ergebenden Erkenntnisse gilt es zu verarbeiten, um als Folge Kraft und Ruhe zu entwickeln.
2. Eine starke Unternehmenskultur,
die sich aus der persönlichen Resilienz ableitet, um sie auf die Praxisorganisation zu übertragen. Sie formuliert eine Identität, die von den Mitarbeitern gelebt wird und Werte wie Respekt, Empathie, Anerkennung, Achtsamkeit und Wertschätzung vermittelt.
3. Entwicklung von Ressourcen und Fähigkeiten
Nur ein motiviertes und fachlich gut geschultes Team, das selbst auch den resilienten Gedanken in sich trägt, wird in der Lage sein diese Philo- sophie mit zu tragen.
4. Gemeinsam bewältigen, wozu der einzelne nicht in der Lage ist Teamarbeit steht hier im Mittelpunkt, die sich durch die unter Punkt 2 und 3 genannten Faktoren entwickelt und dafür verantwortlich ist, dass nicht nur das tägliche Mit- einander harmonisch funktioniert, sondern auch Engpässe, wie Krankheitsausfälle, kompensiert werden können. Gerade in Engpässen und Krisen zeigt sich die Stärke der resilienten Praxis.
5. Anpassungsfähigkeit, Innovation und Engagement
Das Verharren in bestehenden Denkstrukturen sorgt für wenig Flexibilität. Entwicklungen zu beobachten, offen damit umzugehen, sie zu akzeptieren, Lösungen zu erarbeiten und diese aktiv anzugehen, gehört zum Grundmuster der Resilienz.
Das Potenzial der Resilienz
Die resiliente Praxis zeichnet sich dadurch aus, dass
-sie flexibel auf Situationen reagiert (intern / extern)
-sie die Zeit des Stillstandes in schwierigen Situationen ver- kürzt
-sie in Krisensituationen nur einen geringen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit erfährt
-die Rollen in der Praxis zuverlässig verteilt hat
-das Wissen und Fachwissen für die Tätigkeit vorhanden ist
-gegenseitiges Vertrauen zur Stärkung des Teamgedankens beiträgt
-sie sich von den Mitbewerbern unterscheidet
Fünf Prinzipien der Praxisorganisation
Der Weg zur resilienten Praxis ist ein Prozess, der sich aus unserer Erfahrung lohnt, da er mit einer grundsätzlich anderen Einstellung und Lebensqualität verbunden ist und schließlich zu einer größeren Zufriedenheit führt. Er wird grundsätzlich von den fünf nachfolgenden Prinzipien bestimmt:
1. Führung
Nach der Bestimmung von klaren Zielen geht es unter den Leitlinien eines kooperativen Führungsstils darum Prioritäten festzulegen, die die Selbstbestimmung in den Mittelpunkt stellt. In Absprache mit den Mitarbeiterinnen werden die Aufgaben gemäß den Stärken auf das Team verteilt, die immer auch mit Ziel- und Zeitvorgaben formuliert sind. Durch Controlling, Lob, Kritik und konstruktive Gespräche wird das Engagement der Mitarbeiterinnen gefördert, die Eigenverantwortung gestärkt.
2. Unternehmenskultur
Das Miteinander sowie der Umgang mit den Patienten wird in Form von Leitlinien im Sinne einer Praxisphilosophie / Unternehmenskultur formuliert und verabschiedet. Es gilt klare Prinzipien festzulegen, die bestimmt werden durch Vertrauen und die Übernahme von Eigenverantwortung.
3. Team
Der Teamgedanke ist das Kernthema der Resilienz, daher liegt hier das größte Betätigungsfeld. Grundvoraussetzung ist, dass die Mitarbeiter/innen richtig ausgewählt sind und über die notwendigen Eigenschaften verfügen, die sich durch die Aufgabe bedingen. Faktoren, wie hohe Eigenmotivation, die sich durch entsprechende Anreize fördern lässt, gehören
ebenso dazu, wie Schulungen und Weiterbildungen. Unabdingbar ist eine systematische Unterstützung und Betreuung des Teams durch die Führungskraft.
4. Systeme
Flexibilität erhöht die Attraktivität des Arbeitsplatzes und sorgt für die Mitarbeiterbindung. Dies können Instrumente sein wie flexible Arbeitszeiten oder auch Homeoffice für Mitarbeiterinnen in der Verwaltung. Es können Kinderbetreuungen organisiert werden, um den Wiedereinstieg junger Mütter in den Praxisbetrieb zu ermöglichen.
5. Settings
Die Modernität des Arbeitsplatzes ist für die Motivation der Mitarbeiterinnen häufig ein wichtiger Faktor. Die Gesundheitsförderung, die zunehmend wichtiger wird, kann durch kleine Gesten (Obstkorb im Aufenthaltsraum) bis hin zu Gehaltsboni (Mitgliedschaft im Fitness-Studio) gestärkt werden.
Fazit
Resilienz in der Arztpraxis ist ein immer wichtiger werdendes Thema, da die Überlastung zunimmt und häufig eine defensive, spontane und reagierende Rolle festzustellen ist. Resiliente Praxen agieren. Sie sind selbstbestimmend, vorausschauend, robust, positiv und flexibel. Resiliente Praxis wissen, welche Ereignisse eintreten können und sind darauf vorbereitet. Sich auf das Thema Resilienz einzulassen, ist ein lohnenswertes Ziel, denn es verändern sich Denkweisen und es entsteht eine Form der Stärke in Verbindung mit Gelassenheit, die für Ruhe und Lebensqualität sorgen. Es ist ein Prozess, der Zeit benötigt und von Praxis zu Praxis individuell zu organisieren ist.